Dienstag, Januar 03, 2006

Gas als Raketenersatz?

Stereotype filtern Informationen in einer Welt der Informationen und erleichtern durch Vereinfachung somit unser Leben. Seit jeher ist der große Riese Russland, der größte Flächenstaat auf Erden und die zahlenmäßig größte europäische Nation eine Unbekannte in unserem Denken.

Slawische Heiden, orthodoxe Schismatiker, mongolische Untertanen, zaristische Imperialisten, bolschewistische Untermenschen, kommunistische Weltrevoluzzer und Njet-sager…

Ex oriente malus.

Und seitdem Putin das Präsidentenamt des Riesenreiches von Elcin’ geerbt hat, wurde Russland wieder immer mehr zur Unbekannten. Neuester Stein des Anstoßes ist der Streit zwischen dem russischen Staatsunternehmen Gazprom und der Ukraine über die neuen Gaspreise für das Land.

Was konnte der deutsche Zeitungsleser und Nachrichtenschauer so alles erfahren?

Russland erhöhte zum neuen Jahr die Preise für Gas, das an die Ukraine geliefert werden soll von 50 auf 230 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Man erfährt auch, dass die erste Summe ein Vorzugspreis ist und die zweite dem Weltmarktpreis entspricht. Zudem habe die Ukraine nix gegen den Weltmarktpreis, wenn dieser aber erst in Etappen erreicht würde.

Zugleich weiß man auch, wieso Russland so reagiert – es geht um pure Machtpolitik und Rache für die orangene Revolution. Des Weiteren finden in Kleinrussland im März Parlamentswahlen statt. Also zählt man 1+1 zusammen und weiß, dass Russland hier Druck ausüben und die Ukraine zum slawischen Schmusekurs zwingen will.

Seitdem Druckabfälle in den Gaspipelines der Europäischen Union festgestellt worden sind, warnen selbsternannte Russlandexperten davor, dass man viel zu viel Gas aus dem Riesenreich importiere und somit in eine Abhängigkeit gelange. Schließlich benutzen die Russen Gas als Raketenersatz. Das weiß doch jeder.


Aber folgen wir dem Philosophen Slavoj Zizek und fragen einfach naiv und dumm.

Putin stellte sich bei der ukrainischen Präsidentenwahl hinter Viktor Janukovic und gegen den späteren Wahlsieger Viktor Juscenko und die spätere Premierministerin Julija Timosenko. Wieso erhob Putin den Gaspreis nicht sofort danach? Wieso erst jetzt? Wegen den Parlamentswahlen? Nehmen wir nun an, dass Putin um sich nicht gerade einen dummen Beraterkreis hat. Seit der Krise steigen die Umfragewerte für das zerstrittene orangene Lager an. Davor lag Janukovic, wegen des Unmutes im Lande gegen die Orangenen vorne!
Doch nun gibt es die typische Solidaritätsbewegung und es kommt den orangenen „Demokraten“ nur zu Recht, da sie sich eben nicht als Musterdemokraten entpuppten.
Macht also Putin wieder den gleichen Fehler? Wie gedachte er denn mit erhöhten Gaspreisen noch mehr Stimmen für Janukovic zu sammeln? War ihm nicht klar, dass seine Gegner in der Ukraine „Erpressung“ rufen werden? Dass sie „Rache“ schreien werden? Natürlich bleibt die Frage, wieso eine verspätete Rache und was für eine Erpressung? Die Preise wurden so erhöht ohne ein Junktim. Etwas, was westliche Staaten ja all zu gerne machen. Hilfe nur unter bestimmten Bedingungen. Hier allerdings wurde von der Ukraine nichts erwartet. Es war kein – liebt uns oder schluckt den Preis. Es war nur ein – schluckt den Preis!

Wer sich wirklich mir Russland befasst war dies auch klar. Russland befindet sich im Wirtschaftsboom – und zwar größtenteils aufgrund des Energiesektors! Da ist es klar, dass Gazprom auf mehr Profit aus ist. Schließlich ist die Sowjetunion passé.

Was viele durch diesen Gastreit Gazprom-Ukraine nicht mitbekommen haben, ist, dass der Energiekonzern seine Preise für alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion erhöht hat.

Hier eine kleine Liste. Die Dollarpreise für die Jahre 2005 und 2006

Armenien 60 -> 110
Aserbaidschan 60 -> 110
Estland 80 -> 125
Georgien 63 -> 110
Lettland 80 -> 125
Litauen 80 -> 127
Moldawien 80 -> 160
Ukraine 50 -> 230
Belarus 48 -> 48

EU-Staaten im Schnitt 240 Dollar

Was kann man dieser Tabelle entnehmen? Die Preise sind überall gestiegen.

Wir können entnehmen, dass die baltischen Staaten, die nicht in der GUS sind, die seit jeher ihre Streitigkeiten mit Russland haben, weit unter dem Weltmarktpreis waren und es immer noch sind. Moldawien und Georgien, die sich von Russland abgewendet haben auch unter dem Weltmarktpreis sind. Zudem sehen wir, dass zwei Staaten letztes Jahr richtige Vorzugspreise zahlen konnten – die Ukraine mit 50 Dollar und Belarus mit 48. Der Grund hierfür liegt auch im Putins Lieblingsprojekt - dem „Einheitlichen Wirtschaftsraum“ aus Belarus, Ukraine, Russland und Kasachstan. Aus diesem Projekt möchte Juscenkos Ukraine wieder raus und wendet sich Richtung NATO und EU zu.

Wieso stieg also der Gaspreis für die Ukraine so an, dass das slawische Bruderland mehr zahlen muss, als die baltischen EU-Mitglieder. Und was kann man aus diesem Konflikt für Rückschlüsse ziehen.

Die Gaspreise für die Ukraine wurden drastischer erhöht, als für die anderen ehemaligen GUS-Staaten, allerdings von einem Spottpreis auf Weltmarktniveau. Daran kann man nichts aussetzen. Dass die Motivation politisch war, ist klar. Aber man sollte nicht zu viel interpretieren. Es ging wohl eher darum ein Exempel zu statuieren, als die Ukraine zu bestrafen. Die Ukraine, wie die gesamten GUS-Staaten gehört laut außenpolitischer Doktrin Russlands zum „Nahen Ausland“. Hier sollte aufgezeigt werden, dass es eben auch seine Vorteile hat, an einer Vertiefung der GUS und anderer parallel entstandener Institutionen, wie dem Einheitlichen Wirtschaftsraum oder der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft mitzuwirken. Und Russland lockt mit seinen Energiequellen, genauso wie der Westen mit seinen Vorzügen lockt. Beides ist legitim. Dass dieses Vorgehen für das orangene Lager ein gefundenes Wahlkampffressen ist, sollte auch klar sein. Zudem kann die Ukraine weiterhin mit der antirussischen Karte bei EU und NATO Punkte sammeln – wie z.B. „Leute, schaut her. Die Russen benutzen Gas als Waffe. Die Russen sind keine vertrauenswürdige Geschäftspartner.“

Den Russen gefällt es, die Ukraine als Diebe und Bittsteller darstellen zu können. „Lieber Westen, die ach so demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformer klauen euer Erdgas. Zudem akzeptieren sie keine Weltmarktpreise.“

Auf die Kassandrarufe einiger selbsternannter Russlandexperten sollte man allerdings nicht hören. Die Sowjetunion erwies sich in den frostigsten Zeiten des Kalten Krieges immer als zuverlässiger Partner! Das Gas kam an. Auch einige Forderungen nach neuen Gasquellen zeugen von wenig Wissen über die Materie. Im Gegensatz zu Öl oder Kohle, bedarf Gas einer sehr komplexen Infrastruktur. Gerade das Beispiel Ukraine zeigt, dass die Ostseepipeline nur im Interesse Westeuropas sein kann. Denn dadurch wird unser Bedarf gedeckt, auch wenn pseudodemokratische Staaten einmal ihre Gasrechnung nicht zahlen wollen.

Eine Maxime zieht sich durch die gesamte russische Außenpolitik seit Ende der Sowjetunion. Gute Beziehungen zu den USA und Westeuropa. Zugleich der Wunsch als gleichberechtigter Partner des Westens gesehen zu werden. Russland ist für den Westen ein zuverlässiger Partner. Das wissen leider viel zu wenige Journalisten, die sich einbilden über Russland schreiben zu müssen. Stereotype machen das Leben einfacher - auch wenn sie meistens nicht stimmen und für den Beruf unangebracht sind.

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