Montag, Januar 16, 2006

Wenn man Ratschläge nicht befolgt...

Ärztliche Empfehlungen sind unter anderem deswegen da, damit sie nicht befolgt werden.

„Rechte Hand eine Woche lang schonen und nicht bewegen“ heißt übersetzt: „Sobald die Schmerzen einigermaßen erträglich sind und die Hand sich bewegen lässt, ist es medizinisch gesehen vollkommen in Ordnung sie zu bewegen.“

Die Faust kann ich fast bilden, die Finger tanzen über die Tastatur und wenn ich keine Schmerzmittel nehme heißt es ja per definitionem, dass ich keine Schmerzen habe – also rein objektiv-medizinisch betrachtet. Subjektiv gilt nicht. Da war doch noch etwas mit Montag… Ach, wenn’s wichtig gewesen wäre, hätte ich’s mir gemerkt. Schließlich sind wir Menschen doch Vernunftwesen und nach Aristoteles zoon politikon, politische Wesen.

Apropos Politik, da ist doch wieder einiges passiert, was nicht unkommentiert bleiben sollte:

1.) Gesinnungstest

Scheinbar hatten mehrere Menschen unabhängig von einander zur selben Zeit den selben Gedanken – eine 2. Achsenzeit? Oder irgendjemand hat die Gedanken aus diesem Weblog geklaut, sie ins seins geschrieben, wo es wieder geklaut worden ist… Prinzip Schneeballsystem. Ja, das gefällt mir besser, denn Zufälle gibt’s nicht.

Der Gesinnungstest für einbürgerungswillige Muslime Baden-Württembergs gilt nun für alle einbürgerungswilligen Ausländer aus dem südwestlichen Bundesland. Der Test ist auch so gut, dass man ihn nicht abändern müsse für Buddhisten oder Atheisten – er ist universell, z.B. wenn ein Tibetaner zur seiner Einstellung zu Ehrenmorden befragt wird oder ein Schwede, ob er seine Tochter zwangsverheiraten würde.

Und was bekommt man zu hören – es gibt doch tatsächlich Kritiker, die die Erfahrungen mit Gesinnungsprüfungen bei Wehrdienstverweigerern aufführen. Der Berufsverband Deutscher Psychologen bezeichnet den Fragenkatalog gar als dilettantisch und ermahnt, dass Menschen mit niedrigem Bildungsstand und Sprachverständnis nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten würden.

Bestimmt und verwundert weise ich noch einmal daraufhin, dass es ein Recht auf Dummheit gibt. Den verfassungsmäßigen Machtmietern gestehen wir es auch zu.


Apropos Verfassung.

2.) Verfassung

Was lasen meine müden und verwunderten Augen vor einigen Tagen in der Presse? Der Europäische Verfassungsprozess hätte weitere Rückschläge erlitten.

Sie sei tot, erklärte der niederländische Außenminister Ben Bot am Mittwoch und Frankreichs Präsident Jacques Chirac bot an, sie wie ein Autowrack auszuschlachten und die Teile, die man verwenden kann herauszunehmen. Einzelne Elemente, die für die erweiterte Union lebenswichtig sein, sollten in die bestehenden europäischen Verträge aufgenommen werden. Schließlich soll die Union regierbar bleiben.

Dies war allerdings nicht der Grund meiner Verwunderung, eher die Bewertung der deutschen Politik und Presse. Rückschläge erlitt also der Verfassungsprozess.

Eine kleine Rückblende sei gestattet:

Vor allem Konstitutionsträumer aus Deutschland machten sich vor dem Ratifizierungsprozess Gedanken darüber, was geschehen soll, wenn z.B. die bösen neuen Europäer Polen oder die nördlichen Nachbarn Dänen das Verfassungswerk ablehnen sollten. Ein Schreiberling der ZEIT wollte in diesem Fall sogar die Polen aus der EU rausschmeißen.
Überhaupt die Bezeichnung „Verfassung“ ist auch auf den Mist deutscher Konstitutionsromantiker gewachsen, vielleicht auch, weil wir selber immer noch keine haben.

Vor ungefähr einem halben Jahr wurde nun die „Verfassung für Europa „den Völkern oder Parlamenten Europas zur Abstimmung gestellt.
Was geschah? Zwei Referenden – zwei „Neins“.
Dabei müsste dieses Vertragswerk in jedem Staat ratifiziert werden und ausgerechnet zwei aus dem alten Europa sagten „Nein“.
Also nichts mit Polen rausschmeißen.
Was tun?
Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass die Verfassung tot sei, vor allem eine, die den Anspruch hat, Europa demokratischer zu machen (wohl bemerkt, wir haben hier nicht das Adjektiv „demokratisch“, sondern nur seinen Komparativ „demokratischer“).
Nicht so in der EU. Ein Moratorium gab’s. Dazu haben einige Parlamente, wie z.B. unser Bundestag der Verfassung zugestimmt, um zu zeigen, dass es auch Befürworter gäbe.

Tja, hätten die Parlamente in Frankreich und den Niederlanden abgestimmt, hätte es auch kein „Nein“ gegeben und hätte das deutsche Volk im Gegensatz zum Bundestag abstimmen dürfen, hätte die „Verfassung für Europa“ wohl ein weiteres „Nein“ erhalten.

Diese „Verfassung“ krankt von Anfang an und man lässt sie einfach nicht sterben. Man wollte nun über Europa nachdenken, um den Ratifizierungsprozess danach fortzusetzen. Demokratie heißt manchmal – einfach nicht darauf hören, was das Volk entscheidet und verlautbaren, man müsse nun in den Dialog mit den Bürgern treten und sie Ernst nehmen. Den hypothetischen Volkswillen kennt eh nur unsere politische Nomenklatura, v.a. die in Brüssel.

Um nicht mehr um den heißen Brei zu Reden, wie die Eurokraten:

Dieser Verfassungsentwurf, der weit davon entfernt ist (west-)demokratische Standards in die EU zu bringen ist der kleinste gemeinsame Nenner der europäischen Nationalstaaten. Er ist ein intergouvernentemaler Kompromiss zwischen Machtstaaten. Da es eben so lange gedauert hat diesen Kompromiss zu finden, soll er auch mit aller Macht durchgesetzt werden. Genauso unerbittlich, wie man seine Position gegen den anderen Nationalstaat verteidigt hat, gilt es nun die gemeinsame Position gegenüber den Völkern Europas zu verteidigen. Die Mehrzahl von ihnen darf nicht einmal über diese Verfassung, die ja angeblich für sie gemacht worden ist, abstimmen. Die Denkpause wurde eingelegt, damit die Verfassung bei weiteren Referenden nicht in den Sog eines Negativtrendes gerät. Denn zu viele weitere Niederlagen kann sich selbst die EU nicht mehr erlauben, obwohl die Verfassung nach dem ersten „Nein“ eigentlich tot war. In allen Staaten muss sie ratifiziert werden. Ich erinnere an die demokratietheoretisch interessante Idee, das Referendum in Frankreich solange zu wiederholen, bis die Franzosen zustimmen. Ja, das ist Demokratie à la Brüssel.
Die Verfassung ist nicht gewollt und deswegen tot - die EU lässt sie künstlich am Leben. Zudem verdient dieses Werk die Bezeichnung Verfassung gar nicht. Oder sollte sie tatsächlich unmittelbar und ewig gelten? Wollten uns, den Völkern Europas, die Eurokraten ein undemokratisches politisches System, dass eben demokratischer geworden ist, für die Ewigkeit schenken? Ich hoffe nicht! Also hätte die Verfassung immer wieder geändert werden oder ausgetauscht werden müssen! Und genau das braucht kein politisches System der Welt oder es zeugt eigentlich von politischer Instabilität. Napoleon beispielsweise änderte im Schnitt alle 2 Jahre die Verfassung.
Deswegen finde ich den Vorstoß Chiracs vernünftig! Gerade jene Verfassungsverliebten argumentieren mit der Unregierbarkeit der EU und plädieren für die Verfassung. Dann sollten auch sie einsehen, dass eben viel Zeit verstreichen wird, bis dieses Werk ratifiziert ist. Ergo: Die Teile, die notwendig sind, herausschneiden und diese ratifizieren, damit die EU handlungsfähig bleibt. Leider scheint es manchen gar nicht einmal um Inhalte zu gehen, sondern nur um den schönen Namen – Verfassung.


Apropos merkwürdige verfassungsrechtliche Ansichten:

3.) Ukraine

Der ukrainische Justizminister Serhij Holovatij erklärte, die vom Parlament abgesetzte Regierung sei weiterhin im Amt, da dass Parlament nicht das verfassungsmäßige Recht hätte sie abzusetzen. Interessant, wenn der Justizminister eines Landes seine eigene Verfassung nicht kennt. Ein kleiner Tipp Herr Holovatij: Art. 115 klärt Sie auf, welche Rechte das Parlament im Bezug auf die Regierung hat.

Doch wer ist denn auf einmal prorussisch in der Ukraine? Alle? niemand?

Juscenko lobt das Gasabkommen und erklärte die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder funktionieren zum erstens Mal und endlich nach den Regeln des Marktes. Er kündigte auch an, dass beide Länder enger bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammenarbeiten möchten.

Zudem sehen Beobachter zunehmend in der energischen Kritikerin des Gasabkommens und Russlands, der Gasprinzessin Julija Timosenko, eine potentielle Verbündete Moskaus in Kiew. Sie habe bei ihrem jüngsten besuch in Moskau zugesichert, sich dafür einzusetzen, dass die Ukraine nicht der NATO beitrete. Dafür soll das Korruptionsverfahren gegen sie in Russland eingestellt werden. Diese Undurchschaubarkeit macht die Politik so spannend - eben kein Carl-Schmittsches Freund-Feind-Schema.

Und Apropos Durchschaubarkeit und Russland.

5.) Angie an der Moskva

Unsere erste Bundeskanzlerin ist in Moskau und wünschte sich wohl eher wieder in Washington, beim netten Onkel Bush zu sein.

Die strategische Partnerschaft wolle sie betonen, aber auch über Differenzen sprechen. Denn während Schröder bei seinen Gesprächen mit Putin auf Deutsch, öfter die Wörter wie Menschen- und Bürgerrechte oder Pressefreiheit vergas (wie heißen denn diese Begriffe auch nur auf Deutsch?), scheint die Streberin Merkelova diese Vokabeln auch auf Russisch drauf zu haben.

Leider sind Staatsbesuche auch manchmal und manchmal ziemlich oft nur fürs eigene Publikum gedacht. Wir hier finden so ein Auftreten natürlich „dufte“, wie es wohl Angela in ihren Jugendjahren genannte hätte. So kurz im Amt und sie zeigt, dass sie mehr Eier beim russischen Bären hat, als der Bundesmacho Gerd.

Jedoch – etwas fehlt. Es ist interessant, was Angela so in Moskau sagen könnte, aber was könnte Vladimir Vladimirovic zu unserer Angela und zu seinem Publikum sagen? Gäbe es auch von seiner Seite „Diskussionsstoff“?

Hier die Aufzählung einer osteuropäischen Zeitung, die im Übrigen der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gehört:

- Die Einmischung in die innere Angelegenheiten und das politische Leben Belarus`, das schließlich Teil der Russisch-belarussischen Union ist.
- Das Kokketieren mit Mitgliedern des ehemaligen Ostblockes zum Schaden Russlands, vor allem mit Polen und den baltischen Staaten.
- Und natürlich die deutsche Position beim Gasstreit mit der Ukraine.

Zu Erinnerung an Frau Merkel, da Herr Schröder dies öfter vergas. Sie muss die deutsche Außenpolitik auch immer im Rahmen der EU, also im Rahmen der Außenpolitiken und somit Interessen der anderen 24 EU-Staaten führen. Putin muss auf so etwas keine Rücksicht nehmen.
Ob also ein Austausch der Feindbilder (nun wieder gute Amis und böse Russen) so tauglich für die deutsche Außen-, die auch immer Wirtschaftspolitik ist, wage ich zu bezweifeln.

Vielleicht sollten wir aufhören aus innenpolitischen Gründen in der Außenpolitik verzweifelt nach „Feinden“ zu suchen. Der Dicke hatte es damals drauf gehabt! Er wusste wie Außenpolitik funktioniert. Das muss man ihm lassen!

Und da ich heute auch über das Recht auf Dummheit sprach… ich befolge jetzt doch einmal den Rat der Ärzte und schone meine Hand, denn sonst geht das noch ins Unendliche…
Auf Wiedersehen!

Keine Kommentare: