Montag, Januar 09, 2006

Quo vadis Ukraina?

Nach dem Gasstreit mit Gazprom beginnt heute, passend zum ukrainischen Wahlkampf, der Gongadseprozess. Der Journalist Georgij Gongadse wurde im Herbst 2000 entführt und enthauptet. Ähnlich wie im Fall des serbischen Journalisten Slavko Curuvijas, war auch Gongadses Ermordung ein Katalysator im Revolutionsprozess. Die beiden Regimes, Kucmas und Milosevics, wurden daraufhin sowohl national, als auch international angreifbarer, verwundbarer, isolierter und erhielt den Antlitz des Kriminellen.

Ich erinnere nur kurz an Kucmas Zickzackkurs zwischen dem Westen und Russland, weil viel zu oft vergessen wird, dass Kucma lange Zeit als Musterdemokrat, wie heute eben Juscenko oder Timosenko, gepriesen worden ist. Den letzten Schwenk vollbrachte er nach dem Irakkrieg. Während er noch damals Seit’ an Seit’ mit den Amerikanern und Neuen Europäer, v.a. den Polen die Demokratie, Menschenrechte und Freiheit in den Irak bringen wollte, wendete er sich kurz darauf dem großen Bruder Russland zu, der mit Deutschland und Frankreich zu den Irakkriegsgegnern gehörte. (Eigentlich auch eine interessante Geschichte, denn Russland war nicht von Anfang an vehement gegen diesen Krieg. Die Amerikaner hätten nur geschickter sein müssen). Der Grund war, dass es eben keine Belohnung vom Westen dafür gab, dass ukrainische Soldaten mit ihren polnischen Brüdern (auch ein interessanter Exkurs – „Die Ukraine zwischen Polnisch-Litauischer Adelsrepublik und Russischem Zarenreich“ *g*) im Irak für Recht und Ordnung sorgten.

Dies war dann eigentlich auch die Geburtsstunde für den Einheitlichen Wirtschaftsraum, dem Lieblingsprojekt Putins, zwischen Belarus, Ukraine, Russland und Kasachstan. Spätestens hier verlor Kucma alle westliche Unterstützung.

Zurück zum Fall Gongadse. Dieser machte in Internetberichten auf Korruption in der Kiewer Führung aufmerksam und wurde danach tot aufgefunden. Somit lag der Verdacht nahe, dass Kucmas Regime hinter dieser Ermordung steckte. Die damalige Opposition konnte später schließlich auch aufgrund dieses nicht gelösten Mordes politisch profitieren.

Nun beginnt also der Prozess und das zu Wahlkampfzeiten. Die zerstrittenen Führer der Orangenen Revolution holen durch die Gazpromkrise zu ihrem Kontrahenten Janukovic auf. Ein Phänomen, das übrigens häufig nach „demokratischen Revolutionen“ in den letzten zwei Jahrzehnten beobachtet werden konnte. Der Zerfall des Revolutionsbündnisses und Rückkehr der alten Machthaber unter neuen Vorzeichen.
Angeklagt sind drei Offiziere der Geheimpolizei. Polizeigeneral Olexij Pukac, der laut Staatsanwaltschaft auch beteiligt gewesen sein soll ist verschwunden. Die Umstände des Todes von Kucmas Innenminister Jurij Kravcenko im April 2005 sind nicht geklärt. Entweder Mord oder Selbstmord. Auf jeden Fall wurde neben der Leiche ein Brief gefunden, in der Kucma bezichtigt wird, hinter der Ermordung Gongadses zu stecken.

Genau hier wird’s nun spannend. Ukrainische Abgeordnete, die diesen Fall untersuchen sollten, glauben nicht an einen Mordbefehl von Kucma, da er durch die Ermordung weiter an politischen Boden in der Ukraine und weltweit verlor. Zudem äußern einige ukrainische Medien der Verdacht, dass Juscenko selbst nicht an einer Aufklärung interessiert sei, weil er sonst einige Verbündete verlöre, wie z.B. den Parlamentspräsidenten Volodymyr Lytvyn.

Denn eins ist klar, die Aufklärung wurde und wird hinausgezögert, was den Europarat dazu bewog, die ukrainischen Behörden wegen der stockenden Ermittlungen zu kritisieren. Daraufhin wurde auch der Generalstaatsanwalt Svjatoslav Piskun von Juscenko abgesetzt.
Es bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse der Prozess mit sich bringt, in wie weit er europäisch-rechtsstaatlichen Standards entsprechen wird und wie alle Lager versuchen werden daraus zu profitieren. Ein heißer Wahlkampf erwartet die Ukraine und zeigt, wie entfernt sie im politischen und rechtlichen Sinne doch von Europa entfernt liegt.

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