Es verdient Beachtung, wenn der russische Präsident innerhalb sehr kurzer Zeit öffentlich zum Thema Kosovo mehrmals Stellung bezieht. Nachdem er seinen Außenminister angewiesen hatte, welche Position Russland in der Balkankontaktgruppe einzunehmen hat, ging er gestern bei der Jahrespressekonferenz unter anderem auch wieder auf dieses Thema ein.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Fragesteller nicht vom Balkan, sondern aus dem Kaukasus, genauer aus Georgien (das mit Abchasien, Südossetien und Adscharien gleich drei abtrünnige Regionen hat, die von Russland unterstützt werden oder wurden) kommt.
Nutsubidse wies auf die Stellungsnahmen Putins zum Kosovo hin und fragte, ob dies bedeute, dass Russland, im Falle einer Anerkennung des Kosovo, genauso im postsowjetischen Raum verfahren und z.B. Abchasien und Südossetien (einseitig) anerkennen würde.
Als erstes wies Putin daraufhin, dass die Grundlage für den endgültigen Kosovostatus auf der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates (interessant ist die gute Vorbereitung Putins) basieren müsse, in der festgeschrieben worden ist, dass das Kosovo Bestandteil des jugoslawischen (mittlerweile serbisch-montenegrinischen) Staatenbundes sei. Denn Resolutionen des Sicherheitsrates seien da, um befolgt zu werden.
Als zweites wies er daraufhin, dass internationale Prinzipien universellen Charakter haben müssten und führte das Beispiel Mazedonien auf. Dort hätte der Westen erreicht, dass die Albaner, die 20% der Gesamtbevölkerung ausmachen, in allen wichtigen Institutionen in dieser Anzahl vertreten sein müssen. Er fragte, wieso dann diese Prinzipien nicht auch für die Russen, die 60% der Bevölkerung im lettischen Riga (immerhin Teil der EU) ausmachen, gelten.
Zum Schluss wies er daraufhin, dass im Falle einer Selbstständigkeit des Kosovo niemand den Abchasen oder Südosseten verbieten könnte auch Unabhängig zu werden. Es gäbe eben Einzelfälle, in denen Staaten, wie die Türkei, abtrünnige Regionen, wie das türkisch dominierte und besetzte Nordzypern einseitig anerkannten. Dies hieße zwar nicht, dass Russland genauso handeln würde. Aber gerade deswegen bräuchte man auf internationaler Ebene Lösungen universellen Charakters.
Interessantes hört man auch aus London, wo die Balkankontaktgruppe tagte. Der Westen soll schon vor dem Treffen versucht haben Russland zu überreden. Durch die Rede Putins, die vor allem eben in die Richtung Washingtons gerichtet war, war dieses Unterfangen unmöglich geworden. Zudem deutete Putin an, dass durch diesen Dominoeffekt, die Macht Russland im postsowjetischen Gebiet steigen würde.
Der UN-Sondergesandte für die Statusverhandlungen und ehemalige finnische Präsident Martti Ahtisaari forderte vor der Rede auf, Druck auf Russland auszuüben. Schließlich ist die Lösung des Think Tank International Crisis Group, dem auch Ahtisaari gehört eine „bedingte Unabhängigkeit“ des Kosovo.
Der Westen verschätzte sich wohl insgesamt mit der Lage in Russland. Als der Kreml bekannt gab, dass es eine Verlautbarung bezüglich des Kosovo geben werde, rechnete man mit einer routinemäßigen Rede. Desto überraschter scheint man gewesen zu sein, als Putin höchst persönlich auftrat und worüber er sprach.
Die Bush-Administration geht allerdings weiterhin davon aus, dass Russland sich nicht vor Auswirkungen der Statusverhandlungen auf Tschetschenien fürchtet, sondern viel mehr einfach nicht gegen die Serben sein will und erwartet, dass der Kreml letztendlich doch den westlichen Lösungsvorschlag mittragen werde.
Ein Problem ist allerdings jetzt, vor Verhandlungsbeginn, sichtbar.
Ahtisaari behaart darauf die Gespräche innerhalb eines Jahres zu beenden.
Die Verhandlungstaktik der USA scheint allerdings zu sein, die Gespräche langsam zu führen, um die Serben nicht unnötig zu provozieren. Erst solle über die Dezentralisierung des Kosovo gesprochen werden, wo man eher den Serben entgegenkommt, um dann im fortlaufenden Stadium die Unabhängigkeit des Kosovo auszuhandeln, was den Vorstellungen der Kosovoalbaner entspricht.
Nun wird allerdings befürchtet, dass Ahtisaari die Statusfrage früher auf den Verhandlungstisch bringt und die Serben eventuell dazu veranlasst den Verhandlungstisch früh zu verlassen.
Die Gründe sind zum einen, dass die Strategie der Amerikaner die Verhandlungsdauer verlängert. Zum anderen ist es nun nach der Aussage Putins klar, dass die Verhandlungen nicht in Ahtisaaris Büro in Wien, sondern in den Hauptstädte der Großmächte geführt werden.
Konstantin Zalutin, Direktor des Instituts für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten meint, dass in den USA alles für eine Unabhängigkeit des Kosovo vorbereitet worden ist. Wenn man die Meinungen westlicher Beobachter betrachtet, die einhellig von einer Unabhängigkeit ausgehen, kann man Zalutins Einschätzung teilen.
Russland musste also nach seiner Aussage ein Junktim zwischen dem Kosovo und den Gebiet der ehemaligen Sowjetunion schaffen, um Verhandlungsspielraum zu erhalten. Putins Clou war hingegen weniger die russische Angst zu schüren, dass man Tschetschenien verlieren könnte, sondern aufzuzeigen, dass Russlands Macht im „Nahen Ausland“ steigen könnte.
Somit richtete sich seine Rede nicht ans In- sondern ans Ausland. Schließlich hätten die USA und seine Verbündeten von Baltikum bis zum Kaukasus etwas dagegen, wenn Russlands Einfluss in diesen Regionen enorm steigen könnte.
Zu guter Letzt stellt Zalutin fest, dass Russland enorm im Ansehen der Serben fallen würde, sollten es die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützen. Der Kosovo ist für die Serben das „Heilige Land“ (ich werde demnächst einmal etwas über den Kosovomythos schreiben) und der Verlust wäre nur durch mythischen Verrat möglich, wie eben im Kosovomythos beschrieben.
So langsam aber sicher scheinen die Dimensionen der Kosovoverhandlungen sichtbarer zu werden und zeigen, dass es wohl viel spannender und komplizierter wird, als von westlichen Experten dargestellt.
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2 Kommentare:
oben hatte ich mich verschrieben ...
Diese Sichtweise fand ich sehr interessant. Geopolitisch habe ich mir immer mehr die Verhältnisse Kaukasus/Mittelasien zu Europa/Amerika betrachtet. Den Balkan habe ich da völlig aus dem Blick verloren; das erklärt wohl auch die Zurückhaltung Europas in der Kaukasus-Problematik? Tschetschenien wurde ja immer hingehalten - als die Achilisferse von Russland, was die Autonomiebestrebungen betrifft, oder liege ich da falsch?
Andererseits nehmen ja die Bestrebungen, jeweils eigene Interessen zu folgen massiv zu, sowohl auf dem Balkan, in Russland und im postsowjetischen Raum, aber auch Amerika und Russland Europa verfolgen ihre Interessen; und der Iran, der Nahe Osten, Mittelasien sind keineswegs zu unterschätzen!
Sehr interessant, Ihr Blog. Werde jetzt immer mal reinschauen! Übrigens habe ich diesen Beitrag auf meinem Blog verlinkt ...
Regards, Rappo.
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