Donnerstag, Februar 23, 2006

Causa Mladic

Es könnte ein wertvoller Schachzug Serbiens werden, falls sich der ehemalige Chef der bosnisch-serbischen Armee „freiwillig“ dem ad hoc Tribunal in Haag ergibt oder ausgeliefert wird.

Gerade die montenegrinische Regierung, die immer wieder beteuert ohne Serbien schneller in die EU zu kommen (als Argument diente immer die Nichtzusammenarbeit mit Den Haag und das, obwohl der ehemalige Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, gerade in Ostbosnien und in seiner Heimat Montenegro vermutet wird), könnte Den Haag nicht mehr als Argument für die Unabhängigkeit dienen. Zudem wird die EU langsam zum Buhmann, nachdem der EU-Sondergesandte Lajcak beim bevorstehenden Referendum ein Quorum von 55% fordert.

Allerdings ist dieser Eifer del Pontes auch einigen Staaten in der EU unwillkommen, da sie gerade die Assoziierungsverhandlungen als Druckmittel in den Kosovostatusverhandlungen benutzen wollen.

Doch all das kann man hie und da explizit oder implizit in irgendwelchen Zeitungen (heraus)lesen. Eine andere Frage ist für den kritischen Geist jedoch interessanter.

Wieso sind alle so scharf auf Mladic?
So, die Streber werden sagen, wegen Srebrenica.
Jaja, antworte ich ihnen, aber wieso sind alles so scharf auf Mladic? Wäre nicht Karadzic, als politisches Oberhaupt, eher der Hauptverantwortliche für alles Geschehene? Schließlich plant die Politik, das Militär befolgt die Vorgaben. Wieso wird also Ratko Mladic eifriger gesucht, als sein Boss Karadzic?

Eine naive Frage – zwei Antworten.

1.) Nach dem Daytoner Frieden tauchte Karadzic irgendwann einmal unter, nach dem vereinbart worden ist, dass er kein politisches Amt mehr bekleiden dürfe. Seitdem verstummen Gerüchte nicht, dass der US-Unterhändler Richard Holbooke mit Karadzic ein Gentleman-agreement geschlossen hatte.
Karadzic hält sich aus dem politischen Leben in Bosnien zurück – im Gegenzug dazu wird er nie zur Rechenschaft gezogen für seine Taten. Zudem blamierten sich schon einige Amerikaner in Bosnien, weswegen es den Amis nur Recht sein konnte, wenn Karadzic schweigt.
(ein Beispiel: Wesley Clark, damals Militär in Bosnien, galt lange Zeit als aussichtsreichster Kandidat der Demokraten gegen George W. Bush. Bekannt geworden wurde er, weil er 1999 die Luftangriffe gegen Serbien befehligte. Allerdings gibt es aus seiner Zeit in Bosnien unvorteilhafte Videoaufnahmen und Fotos, u.a. mit Ratko Mladic, die GWB geschickt genutzt hatte).

2) Der unzufriedene Verlauf im Milosevicprozess.
Ich will gar nicht auf die Person Carla del Ponte eingehen (ein Tipp gebe ich trotzdem: einfach einmal erkundigen, wie viele Fälle sie als Bundesstaatsanwältin in der Schweiz gewonnen und wie viele verbockt hat). So eifrig, wie in der Schweiz, wollte die harte Dame viel, ohne erst einmal nach Beweisen oder Zeugen zu suchen. Manchmal sind Schlagzeilen mehr wert, als der Inhalt.
Anstatt Milosevic nur einen Prozess wegen dem Kosovo zu machen, was laut Beobachtern schon schwierig wäre, musste sie Kroatien und Bosnien hinzutun. Laut Beobachtern hätte man Milosevic wegen des Kosovokrieges verurteilen können, indem man sich auf seinen Oberbefehl über die jugoslawischen Truppen stützt. Da genügt es, dass er Verbrechen nicht ahnden wollte bzw. einfach verantwortlich ist für das, was seine Truppe tat. Da braucht’s kein Papier indem Milosevic befiehlt, dass dieses und jenes getan werden soll.

So, in Kroatien und vor allem in Bosnien (Völkermord) sieht alles anders aus. Er war nie der formale Oberbefehlshaber. Er war zu jener Zeit Präsident der jugoslawischen Teilrepublik Serbien, über ihm war der jugoslawische Präsident, der damals auch Oberbefehlshaber der Armee war. Zudem gab es in Kroatien und Bosnien zwei „selbständige“ serbische Republiken, mit eigenen Parlamenten, Präsidenten (u.a. Karadzic), und eigenen Armeen. Hier braucht man also einen link von Milosevic zu Karadzic.

Als sich die eiserne Lady Biljana Plavsic, die nach dem Krieg einen prowestlichen Kurs fuhr, sich freiwillig stellte und für schuldig erklärte, in der Hoffnung auf eine geringere Haftstrafe und bessere Haftbedingungen, hoffte del Ponte auf „die“ Kronzeugin gegen Milosevic. Allerdings weigerte sich die Milosevichasserin dennoch gegen den ehemals starken Mann aus Belgrad auszusagen, was ihr dann eine Verlegung in ein doch nicht so angenehmes Kittchen brachte.

Karadzic selbst äußerte sich mehr als einmal, unschuldig zu sein und auch nicht gegen Milosevic aussagen zu wollen. Zudem sieht er ein Vorbild in Milosevic vor Gericht – sprich er rechnet damit, dass er nicht verurteilt werden könne.

Nun gibt’s bei diesem ad hoc Gericht mehrere juristische Präzedenzfälle. Einer davon ist der bosnisch-serbische General Krstic, der wegen Völkermord auch in zweiter Instanz zu 35 Jahre Haft verurteilt worden ist. Spannend bei Krstic ist weniger die Tatsache, dass er als erster vom Tribunal des Völkermordes schuldig gesprochen worden ist, als vielmehr, wo er sich zum Zeitpunkt der Einnahme Srebrenicas befunden hatte. Gar nicht in der Nähe des Ortes und war zu dem Zeitpunkt nach eigenem Bekunden gar nicht einmal der leitende General des Drina-Corps gewesen. Die Einnahme Srebrenica geschah am 11. Juli 1995. Laut Anklage übernahm Krstic die Leitung des Drina-Corps am Abend 13./14. Juli, laut eigenem bekunden 20./21. Juli.

Trotzdem befand das Gericht, dass Krstic an der Teilnahme zum Völkermord schuldig sei, weil für seine Truppe verantwortlich. Es muss weder davon wissen, er muss es nicht befehlen. Nach diesem Urteil kennt der frühere Armeechef Ratko Mladic den Ausgang seines Prozesses schon jetzt. Er muss nicht, wie Karadzic oder Milosevic darauf spekulieren, dass ihm die Anklage nichts beweisen kann. Er weiß, dass er die militärische Verantwortung trägt und deswegen verurteilt wird. Und das ist die Hoffnung von del Ponte – vielleicht in ihm "den" Kronzeugen zu finden!

Dass er nicht lebendig aus dem Knast rauskommt, das weiß Mladic schon jetzt.
Also spekuliert man in Haag, dass er sich gerade deswegen kooperativ zeigt. Haftminderung, eine Luxuszelle etc. Ob die Rechnung aufgeht, ist die andere Sache. Allerdings könnte der laufende Milosevicprozess ohne einen echten Kronzeugen zum Debakel werden. Deswegen will man keinen Karadzic, sondern einen Mladic.

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