Dienstag, Februar 28, 2006

Zeitungsmainstream

Als ich nach meinen Studienaufenthalt in der Ukraine nach Deutschland zurückkam freute ich mich besonders darauf endlich wieder eine gescheite Zeitung in den Händen halten zu können. Es ist einfach ein schönes Ritual in der früh einige Zeitungen durchzuarbeiten, um zu wissen, was so in der Welt los ist. Kaffee für den Geist.

In der Ukraine unter Kucma gab es natürlich auch Zeitungen. Es gab sogar Oppositionsblätter. Ja, nur sieht das alles eben etwas anders aus und so was musste man lernen. Also vertiefte ich an der Uni nicht nur meine Russischkenntnisse, sondern lernte von den Dozenten, wie man zwischen den Zeilen lesen soll.

Ich erinnere mich eben noch an den ersten regimekritischen Aufsatz, den ich lesen sollte aus der Wochenzeitschrift „Korrespodent“.
Ich fragte mich danach, was ist daran bitte regimekritisch? Die kriechen dem Herrn Kucma doch so in den Ar***.
Nächster Tag in der Uni. Dozentin fragte mich, ob ich den Artikel gelesen habe, ob ich Schwierigkeiten hatte und wie er mir gefiel. Also sagte ich gleich, dass das für mich als Westler kein oppositioneller Aufsatz war.
Woran ich das ausmache, fragte sie.
Naja, schon mal an der Anrede: „Unser Präsident Leonid Kucma“ „der Präsident der Ukraine …“ etc. Bei uns war’s damals halt „Schröder“, „Bundeskanzler Schröder“ etc, aber z.B. nie der volle Titel „der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Gerhard Schröder“.

Erste Lektion war also: das war alles ironisch gemeint. Man machte sich darüber lustig, wie der Autokrat genannt werden wollte – bei all seinen Titeln oder als Landesvater. Außerdem lernte ich also, wie man Kritik an jemanden zwischen den Zeilen verstecken kann, z.B. anhand von Zitaten. Man zitiert Oppositionelle oder eine Aussage, die man gegen das Regime benutzen kann. Allein die Tatsache, dass man das tut, bringt diese Kritik an viele Leute. Und man lässt dieses Zitat so gut, wie unkommentiert. Der Leser weiß, was er damit anfangen kann, der autoritäre Staat könnte höchstens gegen den vorgehen, der so etwas gesagt hat, aber nicht gegen die Zeitung.

Leider fehlte es in der Ukraine an ausländischen Zeitungen (Ausnahme einige russische). Das einzige Informationsportal in die Außenwelt war das Telefon oder das Internet. Aus ukrainischen Zeitungen erfährt man leider nicht wirklich viel, was passiert. Denn Kritik am Regime ist das eine, mangelnde Infos das andere.

Da lobe ich mir dann doch Deutschland, wo man an fast jede Zeitung irgendwie herankommen kann. Ein Riesenvorteil für den kritischen Geist, den ich vor allem nach dem Ukraineaufenthalt umso mehr zu schätzen wisse. Aber herankommen heißt leider nicht, dass alles das tun. Jeder, der neben deutschsprachigen Zeitungen, andere ausländische Zeitungen (britische, amerikanische, französische, russische) ließt, weiß, was ich meine. Es fällt zum einen immer eine andere Zeitungskultur auf. Es gibt die Zitierer, die nah an der Originalquelle bleiben wollen, es gibt die moralisierenden Vorverdauer etc, aber es existiert auch ein jeweiliges Mainstream. Bestes Beispiel hierfür ist immer die Außenpolitik, weil sich die Unterschiede am besten anhand des Mainstreames einer anderen Zeitung aufzeigen lassen. Ich erinnere nur daran, als unser Bundesgerd vorm Irakkrieg beschlossen hat, dass er die uneingeschränkte Solidarität mit den USA aufkündigt.

Deutsche Zeitungen wurden auf einmal nicht nur US-kritisch und versuchten zu belegen, wie völkerrechtwidrig dieser Krieg doch sei (während des Kosovokrieges war so eine Diskussion schon fast Tabu), sondern gingen teilweise in puren Antiamerikanismus über.

Als Politikwissenschaftler bleibt es für mich ein Phänomen, wie in einer marktwirtschaftlichen Demokratie so ein politischer Richtungswechsel von den Medien und danach durch die Öffentlichkeit übernommen wird. Denn den Druck, wie er in autoritären Staaten vorherrscht, gibt es nicht. Wäre auf jeden Fall eine Untersuchung wert. Wie gesagt, der Vorteil ist, dass man sich seine Informationsquellen aussuchen kann. Während des Irakkrieges konnte man eben amerikanische Zeitungen kaufen, um ein differenziertes Bild zu erhalten. Aber wie oben erwähnt – können heißt nicht immer gleich tun.

Da ich in letzter Zeit viel zum Thema Kosovostatusverhandlungen und von meiner Dominotheorie geschrieben habe, will ich es kurz wieder aufgreifen. Der kritische Leser der Peqecke – denn nur kritische Geister lesen so einen Dummfug, wird sich wohl öfter gewundert haben.

Ja, klingt ja eigentlich ganz logisch, was dieser Peq da schreibt, allein glauben daran mag ich net. Denn ich las das sonst nirgendwo.
Und auch der Peq war am Überlegen. Einerseits sind das alles eigene Schlussfolgerungen gewesen. Andererseits bezog ich mich neben westlichen Quellen auf osteuropäische und die letzteren schrieben irgendwann so, wie ich zu Anfang des Blocks. Meine Hypothesen wurden gestärkt, allerdings nur durch den Osten. Im Westen wurde unisono anders geschrieben.
Vielleicht erlag ich also einer Fehleinschätzung.
Und dann finde ich, dass das renommierte britische International Institute for Strategic Studies die Situation ähnlich einschätzt. http://www.iiss.org/news-more.php?itemID=1963 oder http://euobserver.com/9/20979 .
Da staunte auch der Peq.

Und gab’s heute zu erfahren? Milrad Dodik, Premier in spe der serbischen Republik in Bosnien, meinte, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo zu Problemen in der Region führen werde, da mit zwei verschiedenen Maßstäben herangegangen wird. Während man in Bosnien das Prinzip der Unveränderbarkeit der Grenzen und nicht des Selbstbestimmungsrechts der Völker anwendet und somit den Serben verweigert sich aus dem ungeliebten Staat auszugliedern, wird im Kosovo das Prinzip des Selbstbestimmungsrecht der Völker und nicht das der Unveränderbarkeit der Grenzen angewendet, womit die Kosovoalbaner aus dem ungeliebten Staat Serbien ausscheren können.
Wieso ist diese Aussage so interessant?
Der Premier in spe muss befürchten, dass er seines Postens enthoben wird, bevor er vereidigt worden ist. Das macht der Hohe Gesandte und ist des Öfteren schon passiert. Man muss also mit Aussagen ziemlich vorsichtig sein.
Zudem widerspricht das der These (auch des Hohen Gesandte Schwarz-Schilling), dass Belgrad die serbische Republik in Bosnien als Faustpfand benutzen möchte, aber die bosnischen Serben dies anders sehen.
Es stimmt nämlich schon. Wenn ein Politiker aus Serbien damit droht, dass die Serben in der bosnisch-serbischen Republik auch abspalten können, heißt das nicht, dass sie es tun werden. Das wäre so, wenn Deutschland damit drohen würde, dass sich Österreich an Deutschland anschließen wird, wenn irgendetwas nicht passiert, aber die Ösis sich nur denken „Nein danke, ihr Piefkes könnt unter euch bleiben“. Aber im Fall Kosovo hat Serbien nun Rückendeckung aus der serbischen Republik erhalten.

Des Weiteren muss ich noch eine Nachricht kommentieren, die viel zu oft und in viel zu wenigen Zeitungen unkommentiert blieb.

Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wird seit gestern eine zum ersten Mal in der Geschichte ein Genozidanklage verhandelt. Angeklagt ist Serbien-Montenegro, als Rechtsnachfolger der Bundesrepublik Jugoslawien. Kläger ist Bosnien-Herzegovina. Forderung 100 Milliarden Euro.

Dieser Gerichtshof sollte nicht verwechselt werden mit dem ad hoc Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, wo z.B. gegen Slobodan Milosevic verhandelt wird. Vor dem Internationalen Gerichtshof können nur Staaten angeklagt werden, nicht Personen.

Belgrad zweifelt an der Zuständigkeit des Gerichtshofes. Serbien-Montenegro argumentiert wie folgt: die BR Jugoslawien wurde erst nach dem Sturz Milosevics UN-Vollmitglied, also lange nach Beendigung des Krieges.

So, an sich würde man sagen, da drücke sich jemand vor der Verantwortung.

Allerdings wies dasselbe Gericht 2004 eine Klage Serbiens gegen ausgewählte Natostaaten zurück mit der Begründung, dass die Klage interessante Punkte habe, Serbien aber 1999 (Kosovokrieg) nicht UN-Vollmitglied war und es deshalb nicht vor dem Internationalen Gerichtshof einen anderen Staat anklagen könne. Damals zweifelten nämlich die angeklagten Natostaaten an der Zuständigkeit des Gerichtshofes.

Für die Serben entstünde wieder das Bild, dass mit zweierlei Maßstäben gemessen werde. Serbien darf nicht klagen, weil es kein UN-Vollmitglied war, aber gegen Serbien dürfe man klagen, obwohl Serbien kein UN-Vollmitglied war. Wenn man dann das ganze drum herum zu den Kosovoverhandlungen uns so weiter dazu nimmt, sollte man sich nicht wundern, wenn in sehr kurzer Zeit die (noch!) prowestlichen Demokraten in Belgrad weggewählt worden sind und statt ihrer die extrem nationalistischen Radikalen an der Macht sind.

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