Donnerstag, Februar 09, 2006

Das Eigenleben von Symbolen

Seit den satirischen Bildnissen des islamischen Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung vor vier Monaten und einer beispiellosen antiskandinavischen (und antieuropäischen) Kampagne in der islamischen Welt, erleben wir eine hitzige interreligiöse Diskussion über erlaubte Karikaturen.

Die autokratischen Herrscher versuchen sich, mit den islamistischen Bewegungen im Nacken, als Hüter des Glaubens zu profilieren. Die Bilder kennen wir eigentlich schon, nur dass dieses Mal dänische Flaggen von Marokko bis nach Indonesien verbrannt, beschmutzt, skandinavische Vertretung angegriffen und skandinavische Produkte boykottiert werden. Alles, weil eine dänische Zeitung (zugegebenermaßen ein rechtes Schundblatt im liberalen Dänemark) Mohammed (es besteht ein Bildnisverbot im Islam) als Terroristen darstellte.

Man mag über den Geschmack oder Geschmacklosigkeit streiten, aber die Forderungen, dass die dänische Regierung die „Verantwortlichen“ bestrafe müsse, zeigt umgekehrt wenig Ahnung und Respekt von unserer demokratisch-freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundordnung. Paragraph 1 unseres Strafgesetzbuches („Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“) besteht aus zwei solcher Grundsätzen: Nulla poena sine lege certa und Nulla poena sine lege praevia.

In diesem Zusammenhang ist es allerdings interessant, was zeitgleich in einem modernen muslimisch-sunnitischen Staat geschieht, das in die EU möchte, nämlich in der Türkei geschieht.

Schon 2 Millionen Unterschriften wurden für eine Petition gesammelt, in der gefordert wird, dass der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. und das Istanbuler/Konstantinopler Patriarchat nach Griechenland übersiedeln müssen. Symbolisch wurde bei einer Demonstration türkischer Nationalisten in Izmir eine Darstellung des ökumenischen Patriarchen in ein Boot gesetzt, das Richtung Griechenland geschickt worden ist.

Wenige in Deutschland wissen, dass mit dem Begriff „nach Griechenland schwimmen“ euphemistisch die ethnische Säuberung 1912-1924 der modernen Türkei von den Griechen gemeint ist. Diese Inszenierung in Izmir bedeutet symbolisch für die Türken und Griechen viel mehr, als der unwissende Beobachter im ersten Augenblick erahnen würde.

Der Hintergrund ist die europäische Integration der Türkei. Türkische Nationalisten befürchten, dass das ökumenische Patriarchat in Istanbul, wie der Vatikan ein Staat im Staat werden könne, vor allem seit die EU die Türkei auffordert die Lage der religiösen und sonstigen Minderheiten zu verbessern. Die Türkei selbst erkennt den ökumenischen Patriarchen, der als Primus inter pares den orthodoxen Kirchen vorsteht, als solchen gar nicht einmal an, sondern nur als Oberhaupt der 2.000-3.000 griechischen Gläubigen in der Türkei. Trotzdem oder gerade deswegen fordert sie, dass jeder Patriarch in Istanbul die türkische Staatsangehörigkeit besitzen muss.

In diesem Zusammenhang sollte die Zerstörung der historischen und größten stehenden Buddhastatuen von Bamiyan aus dem 6. Jahrhundert durch die Taliban 2001 erwähnt werden. Denn im Gegensatz zu der „satirischen Beleidigung einer Religion“, war das ein Akt der „barbarischen Schändung“. Die Buddhastatuen sind weg, Mohammed bleibt. Die Welt war entsetzt über diese Tat einiger Extremisten (die Karikaturen zeichnete auch nicht der gesamte Westen), aber Reaktionen, wie wir sie momentan erleben waren nicht zu verzeichnen.

Verhältnismäßigkeit ist das Stichwort. Erst dachte ich etwas über Toleranz, ein schickes Modewort, zu schreiben. Schließlich verwendet es jeder, aber keiner weiß so genau, was es ist und es passt zum Thema oder Respekt, z.B. Respekt vor anderen Glaubensrichtungen. Nach längerem Überlegen finde ich, dass Toleranz dann doch nicht so gut zum Thema passt. Die einzige Frage wäre, bis zu welchem Grad toleriere ich Angriffe, Beleidigungen, Erniedrigungen oder Schmähungen gegen meinen Glauben. Ich finde es ist das gute Recht eines jeden Muslimen diese Karikatur zu kritisieren, eines jeden (orthodoxen) Christen auf die Missstände in der Türkei hinzuweisen und eines jeden Buddhisten sich über die Zerstörung der Statuen aufzuregen. Die Frage ist also nicht OB, sondern WIE!

Eine Aufregung oder gar Kritik an den Karikaturen ist also okay, aber es legitimiert weder die autokratischen Herrscher antiwestliche Kampagnen zu starten, zum Boykott aufzurufen, Botschaften niederzubrennen, zum xten Mal den Jihad auszurufen…Verhältnismäßigkeit würde aber auch zu den Reaktionen im Westen passen. Musste man demonstrativ die Pressefreiheit nun damit verteidigen, dass jede Zeitung diese Karikaturen nachbilden oder gar neue machen musste?

So toll waren diese Zeichnungen nicht, dass sie es wert wären, so einen Zuspruch zu erhalten

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