Samstag, März 14, 2009

Wenn ein Komparativ zum Standard wird

Du machst. Berlin 08!

Jugendliche sollen für Politik begeistert werden. Oder politikbegeisterte Jugendliche treffen sich einfach bei einem Event, das zwischen Neowoodstock und einem Jugendherbergsausflug im FDJ-Flair anzusiedeln ist. Wie auch immer. Juli 2008, es war sehr heiß, die jungen Erwachsenen hatten ihren Spaß und sinnvoll war`s bestimmt auch.

Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und weitere bekannte und weniger bekannte Personen waren als Teilnehmer eingeladen. Klar, dass ein Peq da nicht fehlen darf.

Inkognito, als ambitionierten Jungpolitiker und potentieller Funktionär, die auch reihenweise anwesend waren, konnte sich der Peq auch als Gast bei einigen Veranstaltungen einschleichen. Neben Vorträgen zu interessanten und vor allem spannenden Themen, wie der Entwicklung des Völkerrechts, saß der Peq bei Vorträgen als interessierter Zuhörer und lauschte den Ausführungen anderer.

Eine davon ging um die EU. Thema habe ich wieder vergessen und ist eigentlich auch ganz egal.

Anwesende Redner:

- ein Mitglied des Europaparlaments (ich glaube ein Grüner)
- ein EU Young Professional - toller Titel. Was er genau macht, wurde uns nicht klar. Nach seinen Äußerungen schließend muss er so etwas, wie ein Praktikant sein. Praktikant hat aber mittlerweile ein negative Konnotation, also muss, im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes ein neues Wort daran glauben: Young Professional
- eine Beamtin der EU-Kommission war auch da
- eine Frau, die etwas komisches studiert hatte (ich weiß es nicht mehr. Ging Richtung Religion oder Kunst) und nun etwas gang komisches arbeitet, was damit nichts zu tun hat (ging in die Richtung empirische Sozialforschung), sich aber Wissenschaftlerin schimpft (habe sie einige Woche später im TV gesehen, als Beratering eines unserer Minister).
- der Moderator natürlich. Der hat mir gut gefallen.

Übrigens war das alles kurz nach dem irischen Nein zum Lissaboner Vertrag, also waren die Experten vorne sehr bemüht aufzuzeigen, dass die Iren sich irren und wie toll doch die EU sei ("wir haben uns eingesetzt, dass ihr im Ausland weniger beim Telefonieren bezahlen müsst"). Und sie verstünden alle die Iren nicht, weil die EU doch demokratischer werden solle oder mehr Demokratie bekomme. Zudem könne doch nicht eine Minderheit (Iren), den anderen verwehren, endlich diese Quasiverfassung zu erhalten.

Die Vorgeschichte wurde natürlich nicht erwähnt. Dass es am Anfang erst noch eine Verfassung gab, die die EU ihren Völkern schenken wollte. Weil Geschenke geheim und nicht diskutiert werden, wurde auch dieses Werk den Völkern nicht näher gebracht oder diskutiert (der Leser glaubt nun ein Deja-vu zu haben, weil er sich einbildet gestern so etwas gelesen zu haben), sondern sollte einfacht ratifiziert werden. Blöd nur, dass das Volk zweimal hintereinander aufmüpfig NEIN schrie. Das war 2005. In Frankreich und den Niederlanden. Irgendwie hatte man vor lauter Integration und mehr Demokratie vergessen den Plebs mitzunehmen.

Man lernt aus seinen Fehlern.

Statt EU-Verfassung, gibt es sie nun eine Verfassung light, als Vertrag von Lissabon.

Zudem sind Parlamente disziplinierbarer als Völker, also stimmen hier nur Parlamente ab. Bis auf Irland. Und wieder erdreistet sich ein Volk, das gefragte wurde, mit NEIN zu antworten.

Ich kann die pro-EU-Fraktionen bei der Podiumsdiskussion verstehen, dass sie sich gegen das irische Volk richten, die alle anderen Völkern sagen wollen, wie sie zu leben haben. Dabei weiß ein jeder, dass dies die Aufgabe der Europäischen Kommission ist!

Es ging also munter hin und her, bis zum Schluss das Publikum eingeschaltet worden ist.

Ein, dem Akzent nach zu urteilen, Zuhörer aus Osteuropa, hat sich an einer Begrifflichkeit (wir erinnern uns wieder an PC und Antidiskrminierung), gestört. Für die Diskussionsteilnehmer war Europa ein Synonym zur EU. "Polen etc traten Europa bei" "Auch Serbien muss Teil Europas werden". Das wurde eben kritisiert. Die EU habe keine Alleinvertretungsansprüche am Terminus "Europa". Europa gab es vor der EU. Europäische Staaten waren und sind auch heute nicht Teil der EU. Und es gibt auch welche, die es nicht werden wollen. Deswegen ist EU nicht gleich Europa.

Ihm wurde zugestimmt, aber die Begrifflichkeiten wurden trotzdem weiterhin anders verwendet. EU = Europa.

Also meldete ich mich zu Wort. Ich hatte nur einen kleinen Wunsch mit einer Anmerkung vorneweg:

"Ich habe nur einen kleinen Wunsch. Wir hören, dass die EU demokratischer wird. Demokratischer ist ein Komparativ. Ich wünsche mir einfach eine demokratische EU und keine, die immer etwas demokratischer wird."

Ins Schwarze getroffen. Bis auf den Moderator, hatte ich es geschafft innerhalb weniger Sekunden, alle gegen mich aufzubringen.

Wie könne ich denn den demokratischen Charakter der EU abstreiten. Die EU habe doch bisher so viele tolle Sachen für die Bürger durchgesetzt. Der Hinweis aufs Roaming und Umweltschutz (schließlich sind Jugendliche da und man muss punkten). Und wenn die Bürger nicht zur Wahl des (nach westeuropäisch-demokratischem Verständnis impotenten) Europaparlamentes gehen, dann ist das ihre Schuld. Das habe alles etwas mit Bildung zu tun. Zudem könne man nun einfach so reisen, nicht wie früher. Man könne reisen. Solche Aussagen regen sie nur auf und ich solle doch erst einmal definieren, was Demokratie sei.

Der Feind war also lokalisiert.

Also durfte ich kurz Demokratie definieren, was einem Politikwissenschaftler, der sich in dem Augenblick als solcher outete, wirklich sehr schwer fiel. Zudem fand ich den Vorwand mit mangelnder Bildung schön und fragte, ob es normal sei, dass Akademiker mich bitten, ihnen die EU zu erklären.

Um den Blogbeitrag nicht weiter zu strapazieren:

Argumente wurden nicht ausgetauscht. Auch als ich explizit kritisiert hatte, was nicht demokratisch sei in der EU. Stattdessen wurde ich wirklich als Feind behandelt und die Gegenargumente beliefen sich darauf:

Wenn eine Institution soviel Gutes für die Menschen macht, dann sollten diese dankbar sein und dann ist diese Institution demokratisch. Punkt!

Ich war tatsächlich von der Art und Weise geschockt und hatte es auch wieder verdrängt, bis ich las, dass der EU-Dissident und Präsident der tschechischen Republik, Václav Klaus, eine EU-kritische Rede im Parlament hielt und es dadurch zu einem Eklat kam.

Interessant fand ich auch, dass die deutsche Presse kritiklos, den "selbsternannten" (O-Ton deutsche Presse) EU-Dissidenten kritisierte, allerdings über 90% der Leserkommentare in der Süddeutschen Zeitung, der FAZ oder Welt Klaus zustimmten.

Wer die Rede lesen möchte:

Rede des tschechischen Präsidenten vor dem Europäischen Parlament


Wie es aussieht wird man geschult, mit Kritiken und Kritikern so umzugehen. Ob dadurch die EU bei ihren Völkern ankommen wird - ich wage es zu bezweifeln.

Demokratischer ist eben nicht zwangsläufig demokratisch.
Quasi-Agrumente sind keine Argumente.
Völker sind häufig klüger, als man allgemein denkt.

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