Dienstag, März 14, 2006

Slobo und ich II: Mythen und Wahrheit. Am Zenit der Popularität

Der Kosovomythos. Eigentlich ist es nicht ein Mythos, sondern ein Mythenkomplex, um die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) am St. Veittag, dem serbischen Schicksalstag, 28. Juni1389, indem sich viele biblische Momente wieder finden und aus dem heraus, verbunden mit anderen geschichtlichen Ereignissen (wie z.B. die große Auswanderung aus dem Kosovo 1690) in dem balkanischen Mythos kulminiert, dass die Serben das „himmlische Volk“ sein – das Volks Israel des Neuen Testaments, welches sowohl das Schicksal der Juden, als auch den Leidenweg Christi auf Erden durchleben muss.

Das meinen Journalisten, wenn sie vom serbischen Opfermythos reden. Die geschichtlichen Ereignisse sind eben z.B. diese verlorene Schlacht gegen die Osmanen 1389 und damit einhergehend das Ende der mittelalterlichen serbischen Staatlichkeit, das „osmanische Joch“, der Auszug aus dem Kosovo, v.a. im Jahr 1690, der beiden Weltkriege (im 1. WK hatten die Serben prozentual die meisten Opfer mit ca. 25% Tode der Gesamtbevölkerung / im 2. WK v.a. der Vernichtungskrieg gegen die Serben im klerikal-faschistischen Marionettenstaat NDH (Unabhängiger Staat Kroatien) und somit das gleiche Schicksal mit den Juden, sowie der Partisanenkampf gegen die Besatzung und gegen diesen Marionettenstaat, der zusätzlich hohe Opfer forderte) etc.

Den Kosovomythos umreiße ich nur ganz kurz.

Der serbische Fürst Lazar wird durch den Engel Elia

s vor die Wahl gestellt, ob er ein irdisches oder himmlisches Kaiserreich wünsche. Wenn das irdische, so werde sein Heer in der bevorstehenden Schlacht gegen die Osmanen gewinnen und statt ihrer das Erbe des Byzantinischen Reiches antreten. Sollte er sich für das himmlische Reich entscheiden, solle er im Kosovo (damals Kernland des serbischen Kaiserreiches) eine Kirche stiften, er und sein Heer werden umkommen, sein Volk den Leidensweg Christi durchgehen, aber dafür das himmlische Volk sein.

Als Mann seiner Zeit entscheidet er sich für das himmlische Kaiserreich, weil dieses unsterblich ist.
Was wäre ein biblischer Vergleich ohne einen Verrat und der serbische Judas ist Lazars Schwiegersohn Vuk Brankovic, der auch heute als Synonym für Untreue/Verrat steht. Jedoch beschuldigt Lazar in einer Szene, die dem letzten Abendmahl ähnelt, seinen anderen Schwiegersohn Milos Obilic der Untreue. Milos Obilic ist als Antagonismus zu Vuk Brankovic zu verstehen.


Er ist der edle Ritter, der sein Leben opfert, um Lazar seine Treue zu beweisen, indem er schwört den türkischen Sultan Murat I. zu erdolchen. Historischer Fakt ist, der Sultan Murat I., der einzige Sultan, der durch die Hand eines Ungläubigen starb, von einem serbischen Ritter namens Milos Obilic erdolcht worden ist, der als Verräter getarnt in die Gemächer des Sultan vorkam.
Brankovic trifft zur Schlacht gar nicht an, Obilic und Fürst Lazar werden hingerichtet, nachdem es kurz nach einem serbischen Sieg aussah (fälschlicherweise läuteten die Glocken von Nôtre-Dame in Paris, weil man von einem christlichen Sieg ausging). Der Kopf Lazars wird von einem serbischstämmigen türkischen Soldaten wieder gefunden, Kopf und Körper vereinen sich auf wundersame Weise und finden ihre letzte Ruhestätte in seiner Stiftung.

Wieso ist der Mythos so wichtig? Weil Mythen weit und tief verbreitet sind auf dem Balkan, weil das Denken vieler aktiven Politiker in Serbien in diesem Mythen verstrickt ist und weil der Mythos auch die Amtszeit Milosevics begleitet.

Wir erinnern uns, er putschte gegen seinen Gönner Stambolic, wir befinden uns in der Zeit des Aufbruchs und gerade da jährte sich, am 28. Juni 1989 die Schlacht zum 600. Mal und Milosevic, auf dem Zenit seiner Popularität darf dort die Hauptrede halten. Er zog alle Aufmerksamkeiten auf sich, nachdem er es durch Meetings geschafft hatte politische Weggefährten in der Vojvodina, dem Kosovo und in Montenegro zu platzieren.

Sein Flügel hatte nun 4 von 8 Stimmen im jugoslawischen Präsidium. Die Autonomien der Vojvodina und Kosovo wurden beschränkt, in Montenegro kamen noch jüngere Politiker an die Macht, als es selbst Milosevic war: Momir Bulatovic und der jüngste im Bunde, Milo Djukanovic, der viel von seinem Meister gelernt hatte, sich an die Macht in Montenegro putschte und nun mit allen Kniffen und Tricks des alten Herrn Montenegro in die Unabhängigkeit von Serbien führen möchte.

Ich kam im Zuge meiner Facharbeit zum ersten Mal in wissenschaftlicher Berührung mit der Rede, obwohl ich Teile der Rede schon mit 17 las. Es war eine Arbeit, wie Geschichte, Religion und Mythen in Serbien der 1990er instrumentalisiert worden sind und ein Teil war eben auch Slobo und die Mythen. Seine Reden übernahm ich damals noch semiwissenschaftlich aus dem ersten europäischen „Standardwerk/Bestseller“ Bruderkrieg von Silver und Litte.

Als ich meine Arbeit dann in einem wissenschaftlichen Südosteuropablatt veröffentlich sollte, suchte ich natürlich nach der Originalrede, um diese dann ins Deutsche zu übertragen und ich war verdutzt. Diese Rede war so was von fad und langweilig, so eine richtige sozialistische Apparatschickrede – Gleichberechtigung der Völker, Progressivität der sozialistischen Gesellschaft etc. Da wurde ziemlich viel aus dem Kontext gerissen und/oder falsch ins Englische und dann ins Deutsche übersetzt.

Herrje, da stand ich vor einem Dilemma, denn die Passagen waren so unbrauchbar, die ich noch in meiner Facharbeit verwendet hatte. Ich entschied mich große Abschnitte der Rede in einer Mammutarbeit zu übersetzen, darauf hinzuweisen, dass diese gern zitierten Passagen aus dem Zusammenhang gerissen worden sind und ich etwas anderes für interessant halte – nämlich das man an der Rede sehen kann, dass Milosevics Denken nicht in dieser Mythenwelt verwurzelt ist, er sich aber ihrer bedient. Ein berechnender Opportunist und nicht ein verblendeter demoagogischer Nationalist.

Dem Verleger gefiel das nicht und er nahm die Zusage, dass er die Arbeit im nächsten Halbjahresheft veröffentlichen wird, zurück. Die Rede war ihm nicht nationalistisch genug, weswegen ich sie aus der Arbeit nehmen sollte, weil sonst ein falsches Bild über Milosevic entstehen könnte. Schließlich spricht er ja von der Gleichberechtigung der Völker. Nun, was macht man als Studenten da?

Erst war ich stinksauer und irgendwie auch erbost. Man wird fast schon als Milosevicanhänger dargestellt und das obwohl ich eine kritische Arbeit über den serbischen Nationalismus bei allen serbischen Partei schrieb und mein Lehrer (Balkanexperte im Raum Mittelfranken) meinte, dass ich mir der Konsequenzen bewusst sein sollte, die eine Veröffentlichung haben könnte. Telefonterror wäre das wenigste. Und steht man als Milosevicverteidiger da – nach dem Motto: ein ethnischer Serbe schreibt, er umdeutet die Rolle Milosevic, also kann das nur ein bedeuten. Dass ich mir durch die Veröffentlichung eine Menge Ärger eingehandelt hätte, war wohl irrelevant.

Was kann ich dafür, wenn Milosevics Reden nicht so sind, wie man sie gerne hätte oder wie ein Verleger glaubt, dass sie sein müssen. Verfälschen wäre nun, nachdem ich die ganze Rede kannte, ein Verrat an meinen Wissenschaftsidealen. Schließlich war ich davon überzeugt, dass gerade meine Deutung, Slobos Rede als Beweis dafür, dass er am Zenit seiner Popularität, nichts weiteres als ein uncharismatischer Apparatschick und kühler Opportunist war. Ergo – der Verleger nimmt die Arbeit so wie sie ist oder gar nicht, weil er in meinen Augen dann einfach nicht wissenschaftlich arbeitet.

Für alle, die die Rede interessiert – hier ein Link zu einer deutschen Übersetzung, die ich auf die Schnelle gefunden habe: http://www.friwe.at/jugoslawien/krieg/propag/milosevic.htm

Nichtsdestotrotz, Milosevic war am Zenit seiner Popularität gelangt. In 2 Republiken und 2 Provinzen hatte seine junge Garde das Establishment weggeputscht. Die Gesellschaft war politisiert, die Wende in Osteuropa rückte näher und es tat sich auch viel in anderen Republiken. Einerseits versuchten die alten Kommunisten an der macht zu bleiben – das Beispiel Serbien machte Angst. Andererseits tauchte in allen Republiken ein Nationalismus auf, der eng verbunden war mit einem religiösen Fanatismus – alles Teil jener Renaissance.

Zudem gab es die merkwürdigsten Koalitionen zwischen Kirchen, Reform und Altkommunisten und Nationalisten. Das Ergebnis war, dass nun eine Republik nach der anderen aus Jugoslawien heraus wollte. Also wurden Unterschiede zu anderen gesucht, wurde Hass geschürt. Das war die Zeit, als jugoslawische Schüler in Deutschland erfuhren, was sie ethnisch sind. Eine Anekdote dazu – als ein Freund und ich in der Schule gefragt worden sind, was wir wären, antwortete ich dass ich Serbe sei. Mein Freund auch, weil er es bis dato nicht wusste. Er war halber Kroate und halber Muslim.

Freie Mehrparteienwahlen standen in den einzelnen Republiken vor der Tür und öffneten damit die Büchse der Pandora.

To be continued …

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