Dienstag, März 14, 2006

Slobo und ich I: Ein Apparatschick wird zum Helden

Vorvorgestern, kurz nach 13:00 Uhr, als ich eigentlich sehen wollte, was so in der Welt des Basketballs geschieht, las ich auf dem Nachrichtenportal von BETA, dass Milosevic unbestätigten Berichten nach, gestorben sei. Da gerade vor kurzem die Ente raus ging, dass Mladic verhaftet worden ist, suchte ich nach verlässlicheren Quellen. Und irgendwie war das ein merkwürdiges Gefühl. Ich kann versuchen es zu umschreiben.

Es war so ein Gefühl, wie es wohl auch sein wird, wenn Kohl sterben sollte. Eine Person, deren Fan man nicht ist, die über einen langen Zeitraum die Geschicke eines Landes leitete, der man, nach Beendigung der politischen Karriere trotzdem einen gewissen Respekt zollt, auch wenn man sich eigentlich nicht seinem Lager zugehörig fühlt. Ein (politischer) Gegner, bei dem man sich eingestehen muss, dass man ihn nicht unterschätzen darf und anfängt ihn differenzierter zu betrachten.

Deswegen fiel mir da Kohl ein. Schröder hatte sich bei mir so einen Respekt nie erworben. Da fehlte irgendwie eine bestimmte Größe. Mir fiel dann ein, wie Stoiber Prantl liebevoll „Lieblingsfeind“ nennt. Das passt gut.

Slobo und ich ist wie Helmut und ich. Es ist auch der Anfang der Erzählung, allerdings ein Anfang an den ich mich nicht wirklich erinnere, weil nur verschwommene Bilder, getrennt voneinander ohne jegliche Bezugspunkte, in meinem Kopf umherschwirren. Die Bezugspunkte bildeten neue Straßen und Brücken, die man sich so während der Beschäftigung mit den Ereignissen auf dem Balkan angeeignet hat.

Aufbruchstimmung in Serbien! Das sind die ersten Erinnerungen. Alles ein Teil der großen Wende in Osteuropa. Es sind Gefühle die man so im Urlaub sammelt.

Sinnbildlich passt dazu ein Osterfest, das ich in Serbien beging, in einer Zeit, als die Religion eine Renaissance erlebte, wie in vielen Teilen des ehemaligen Ostblocks. Jeder erinnerte sich an seine Jugend und wie man Ostern traditionell feiert. Schließlich hat man es fast ein halbes Jahrhundert nicht getan. Es war ein Durcheinander, ein Sammeln, wie man Eier traditionell am besten bemalen kann, ein Austauschen – eine gedankliche Tauschbörse. Die Gesellschaft lebte. Sie war am Pulsieren. Tabus, wie die Geschichte und Kultur verschwanden und jeder wurde zum Junkie der eigenen Vergangenheit. Die Bräuche wurden innerlich aufgesogen, denn es herrschte ein innerer Durst. So waren meine Eindrücke.

Zudem wurden die Städte schöner. Das fällt einem Jungen auf.
Nationalitätenkonflikte, ja überhaupt meine ethnische Herkunft kannte ich zu dem Zeitpunkt nicht. Ich war Jugoslawe, der in Deutschland lebte. Dass Jugoslawien aus bestimmten Republiken bestand wusste ich. Aber in meiner Vorstellung waren das Bundesländer, wie eben deutsche Bundesländer. Mein Vater kommt aus Kroatien, meine Mutter aus Bosnien, einige Verwandte lebten in Serbien. Nun ja, für das alles hätte auch Hessen, Baden-Württemberg und Bayern stehen können. Die Welt war noch so einfach und unbeschwert.

Eins bekam ich trotzdem noch mit, in dieser frühen Phase. Es waren die politischen Diskussionen der Erwachsenen. Ich saß dabei, lauschte mit, verstand nichts und konnte mit dem Gesagten erst Jahre später etwas anfangen. Es ging um die Unruheprovinz Kosovo.

Der Kosovo war Unruheprovinz bevor Milosevic an die Macht kam, eigentlich war es ein Katalysator für ihn. Durch die Verfassung von 1974 erhielt der Kosovo (vorher hieß es noch Kosovo und Metochien) eine weitgehende Autonomie innerhalb Serbiens. Diese sah derart aus, dass Serbien sich in die inneren Angelegenheiten des Kosovo, welcher de jure noch Teil Serbiens war, nicht einmischen konnte, während (Volks-)Abgeordnete aus dem Kosovo Gesetzte für Serbien blockieren konnten, auch wenn diese nichts mit dem Kosovo zu tun hatten. Keine Ahnung, was sich Tito dabei dachte. Kurz danach kam ich auf die Welt und Tito starb daraufhin.

Seitdem brodelte es wieder auf dem Kosovo. Dieser Teil ist wichtig, weil es einfach Blödsinn ist, dass die Kosovoalbaner wegen der Unterdrückung durch die Serben oder gar Milosevic radikalisiert wurden und die Unabhängigkeit wollten. Es war gerade umgekehrt. Milosevic wusste die Gunst der Stunde zu nutzen, um an die Macht zu kommen. Das Problem war vorher da, in einem Kosovo, das seit 1974 de jure fast eigenständig, de facto (albanisch)eigenständig war.

Demonstrationen waren zu sehen, mit Bildern von Tito an Hundeschwänze befestigt etc. Alle Jugoslawen, nach meinem Gefühl die Slowenen und bosnischen Muslime am meisten, regten sich über diese Separatisten auf. Heute weiß ich wieso und dass mein Eindruck gar nicht falsch war.
Die Slowenen waren Zahlmeister und Kosovo neben Bosnien die Armenregion in Jugoslawien gewesen. Die bosnischen Muslime dankten Tito ihre Nationalität und deswegen waren diese Beleidigungen Titos ein Affront gegen sie.
Ich nahm nun an zwischenjugoslawischen, politischen Erwachsenendiskussion passiv teil, denn die Gesellschaft war politisiert! Es herrschte im Gegensatz zur Gegenwart keine politische Apathie. Gräuelmeldungen über ethnische Säuberungen an den Nichtalbanern, Zwangsumsiedlungen, Vergewaltigungen, Exzesse gegen nichtalbanische Homosexuelle (man darf nicht vergessen, dass Jugoslawien ein ziemlich liberales sozialistisches Land war), illegale Albaner, die dort seit der weitgehenden Selbstverwaltung systematisch angesiedelt werden indem man ihnen die Häuser der vertriebenen Nichtalbaner schenkte. (Es flohen an sich viele Albaner aus Albanien wegen des stalinistischen Enver Hoxha-Regimes.) All das waren Gesprächsthemen.

Slobo war damals ein junger aufstrebender, uncharismatischer (! Darauf muss ich auch eingehen, wie es zu der Mär kam, er hätte Charisma) typisch blasser Apparatschick wusste damals die Gunst der Stunde zu nutzen.

Er werde die Lage in Ordnung bringen. „Niemand darf euch schlagen“ rief er aufgebrachten Kosovoserben zu, nachdem sie einen Zusammenstoß mit der Kosovo-(albanischen) Polizei inszeniert hatten. Seitdem war er der Held. Im selben Jahr noch putschte er auch gekonnt gegen seinen politischen Gönner und Republikpräsidenten Ivan Stambolic. Alles auf einer ZK-Sitzung und vor laufenden Kameras. Das war 1987, er wurde zum starken Mann innerhalb der Partei in Serbien und somit Serbiens, es ebnete ihm dann auch den Weg in den Präsidentenpalast und das war zugleich der Beginn der „antibürokratischen Revolution“. Denn im Gegensatz zu einigen Hobbyhistorikern und Laienjournalisten war es nicht die Rede anlässlich der 600. Jahrfeier der Amselfelder Schlacht 1989, die in das Amt hievte, sondern dieser Zusammenstoss auf dem Kosovo 1987 und die clevere Live-Übertragung einer ZK-Sitzung.

Wer war dieser Mann? Sohn eines aus Montenegro stammenden Theologen und einer kommunistischen Mutter. Als Direktor der Belgrader Bank, war der gelernte Jurist oft in New York und sprach sehr gutes Englisch. Trotz dieser Erfahrungen und trotz des anfänglichen Wohlwollens seitens der Amerikaner setzte er während der Wende auf die sowjetisch-konservative Karte. Das Lavieren zwischen den Mächten perfektionierte er am Schluss, was ihm wohl auch zum Verhängnis wurde. Obwohl er auf die sowjetisch-konservative Karte setzte, war er nicht Teil des alten Establishments, denn gegen die begehrte er auf und sie wandten sich gegen ihn. Sein Förderer Stambolic war sein erstes Opfer. Das Ziel war allerdings nicht Serbien, sondern Jugoslawien.

Serbien war zwar zahlen- und flächenmäßig die größte Republik, die Serben stellten auch an sich den größten Teil der jugoslawischen Bevölkerung, allerdings hatte er im jugoslawischen Präsidium nur 1/8 der Stimmen, zudem blockierten die Kosovoalbaner und die (reichen) Vojvodinaautonomisten (Serben) das serbische Parlament.

Also gab es zwei Möglichkeiten: entweder reformiert sich Jugoslawien (es sei daran erinnert, dass Jugoslawien damals wirtschaftlich und demokratietechnisch den osteuropäischen Nachbarn weit voraus war und nur eine Frage der Zeit, bis man Teil der damaligen EG wird. Ein Argument für die nationalistischen Bewegungen war, dass man alleine schneller in die EG käme, als gemeinsam) alleine oder er reformiert es, indem er die Kontrolle in den beiden Autonomen Provinzen innerhalb Serbiens und der Schwesterrepublik Montenegro erlangt. Dann besäße er 4 der 8 Stimmen, was ungefähr dem Anteil der Serben in Jugoslawien entsprach. Die Druckmittel dazu waren befreundete Redakteure, waren Demonstrationen, die sich „Meetings“ nannten, waren eigentlich moderne oder als modern dargestellte Instrumente.

Von nun an begann der Machtkampf um Jugoslawien und danach um sein Erbe.

To be continued…

Keine Kommentare: